Esken: „In der Sozialpolitik bleibt viel zu tun!“

Die SPD-Abgeordnete tauschte sich mit der Caritas Baden-Württemberg über notwendige Reformen in verschiedenen Bereichen der Sozialpolitik in der neuen Legislatur aus – Einigkeit herrschte u. a. über die Notwendigkeit einer Kindergrundsicherung.

Waren sich im Gespräch über eine zukunftsweisenden Sozialpolitik in der neuen Legislatur einig: die SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken (untere Reihe Mitte) und leitende Vertreter*innen der Caritas in Baden-Württemberg (von oben links), Dr. Annette Holuscha-Uhlenbrock, Ulrike Sommer, Heiner Heizmann und Rainer Leweling. Screenshot: Büro Saskia Esken

CALW/ FREUDENSTADT. Zu einem digitalen Austausch über eine zukunftsweisende Sozialpolitik traf sich die SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken mit leitenden Vertreter*innen der Caritas Baden-Württemberg. Ausgangspunkt des Gesprächs waren die Corona-Pandemie und die durch sie deutlicher hervortretenden und verschärften sozialen Gräben in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen.

Die Regionalleiterin der Caritas Schwarzwald-Gäu, Ulrike Sommer, berichtete u.a. aus der Arbeit in Beratungseinrichtungen für Menschen in sozialen Notlagen, Schwangere und Migrant*innen sowie der Schulsozialarbeit. Die Pandemie habe das Auseinandergehen der Schere zwischen Arm und Reich noch einmal beschleunigt und die Armutsquote erhöht. Sommer sprach sich daher für die Einführung einer Kindergrundsicherung aus. Die Abgeordnete und Parteivorsitzende Esken griff diesen Punkt auf: „Dass Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer Herkunft die gleichen Chancen haben sollten, das Bestmögliche aus ihrem Leben zu machen, ist eines unserer Kernanliegen. Unser Konzept für eine Kindergrundsicherung besteht daher aus zwei zentralen Säulen: einem neuen existenzsichernden Kindergeld, das nach Einkommen der Familie gestaffelt ist – je höher der Unterstützungsbedarf, desto höher das Kindergeld. Und einer Stärkung der Institutionen, die Familien und Kindern beiseite stehen und auf deren Verlässlichkeit sie so sehr angewiesen sind: Gute und beitragsfreie Bildung und Betreuung in Kitas und Ganztagsschulen, aber eben auch Kinder- und Jugendzentren und andere Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.“

Reformbedarf bestehe darüber hinaus bei Hartz IV, erklärte Sommer. Der Vorstoß des Bundesarbeitsministers von Anfang 2021, mit dem auch die Sanktionen abgeschafft werden sollten, habe in die Richtung gewiesen. „Nach unserer Erfahrung bestehen schon heute an vielen Orten gute und vertrauensvolle Kooperationen zwischen Arbeitsagenturen und ihren Kund*innen, die ganz ohne Strafen auskommen“, ergänzte Heiner Heizmann, der das Kompetenzzentrum Sozialpolitik des Diözesancaritasverband Rottenburg-Stuttgart leitet. „Aber diese positiven Beispiele werden im öffentlichen Diskurs oft von lautstarken Sanktions-Befürwortern übertönt.“ Esken erläuterte: „Wir Sozialdemokrat*innen haben schon 2019 auf unserem Parteitag ein neues Sozialstaatskonzept beschlossen, das genau das vorsieht und den Sozialstaat zum Partner der Menschen macht. Die Reform, die Hubertus Heil auf den Weg bringen wollte, sollte dieses Konzept umsetzen und unsere positiven Erfahrungen aus der Corona-Krise mit schneller und unbürokratischer Hilfe und erleichtertem Zugang zu Leistungen aus der Grundsicherung verstetigen. Das ist leider an unserem Koalitionspartner gescheitert. Deshalb ist es so wichtig, dass wir für andere Mehrheiten kämpfen.

Sommer nannte den Wunsch, dass in Zukunft die Bildungsteilhabe breiter gedacht würde, als weiteres Herzensanliegen der Caritas. „Die Unterstützung von Jugendlichen darf nicht mit dem Schulabschluss enden, sie brauchen auch Begleitung beim Übergang in den Beruf und bei der Suche nach einem passenden Ausbildungsplatz.“ Auch hier habe Corona massive Auswirkungen: In Baden-Württemberg seien im letzten Jahr fast 70.000 weniger Ausbildungsverträge geschlossen worden als noch in 2019. „Schon vor der Corona-Krise war die Situation auf dem Ausbildungsmarkt schwierig. Auch deswegen hat sich die SPD auf Bundesebene für eine Mindestausbildungsvergütung eingesetzt und diese auch durchgesetzt. Und auch die Ausbildungsprämie für den Erhalt der Ausbildungsbereitschaft in der Pandemie ist auf unsere Initiative zurückzuführen“, erklärte Esken. „Aber wir wollen noch weiter gehen und setzen uns für eine Ausbildungsplatzgarantie ein. In den Berufen der Gesundheit, Pflege und Erziehung brauchen wir darüber hinaus einen Wechsel von vollschulischen hin zu dualen Ausbildungen, wie er in einigen Ländern bereits angestoßen wurde. Damit werden sie kostenfrei und die Auszubildenden erhalten eine Vergütung.“

Dr. Annette Holuscha-Uhlenbrock, Vorstand des Diözesancaritasverband Rottenburg-Stuttgart, sprach sich für eine umfassende Reform in der Alten- und Krankenpflege aus: Die Eigenanteile bei den Pflegekosten für Bewohner*innen von Pflegeheimen und ihre Angehörigen lägen in Baden-Württemberg bereits teilweise bei über 3.000 Euro monatlich, eine Entlastung der Pflegebedürftigen und ihrer Familien sei dringend geboten. Neben einer Deckelung dieser Kosten würde auch die seit langem geforderte Übernahme der Behandlungspflege bei stationären Aufenthalten als Leistung der Krankenversicherung die Pflegebedürftigen wirksam entlasten. Darüber hinaus müsse die Attraktivität des Pflegeberufs gesteigert und die Ausbildungskapazitäten erhöht werden, um dem „Pflegenotstand“ endlich etwas entgegen zu setzen. „Die Konzepte dafür liegen vor“, führte Holuscha-Uhlenbrock aus, „nun müssen sie umgesetzt werden, damit bessere Bezahlung, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Entlastung der Pflegekräfte durch weniger Bürokratie endlich Wirklichkeit werden.“ Esken konnte ihr darin nur zustimmen und bekräftigte: „Was wir im Juni mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung auf Bundesebene beschlossen haben, reicht bei Weitem nicht aus! Wir wollen die Pflegeversicherung zur einer Vollversicherung als Bürgerversicherung ausbauen, so dass alle pflegerischen Leistungen von der Kasse übernommen werden – und damit Schluss machen mit der Armutsgefahr durch steigende Eigenanteile.“

Rainer Leweling, Geschäftsführer des Caritasverbandes für den Landkreis Emmendingen , sprach sich abschließend für großzügigere Zuwanderungsreglungen aus: „Denen, die Schutz brauchen, müssen wir Schutz gewähren! Und ihnen ermöglichen, auf sicheren und legalen Wegen zu uns zu kommen.“ Das schließe auch zügige Familienzusammenführungen ein. Esken betonte: „Wir wollen insgesamt eine andere Perspektive auf Zuwanderung, die diese als Chance und Gewinn für unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft begreift. Schließlich brauchen wir in vielen Bereichen, etwa in der Pflege, Fachkräfte aus dem Ausland, um den Bedarf auf dem Arbeitsmarkt zu decken.“

Die Teilnehmenden wollen ihren Austausch in den Monaten nach der Wahl fortsetzen. Die Parteivorsitzende gab sich zum Abschluss kämpferisch: „Ich glaube, wir sind uns einig: In der Sozialpolitik bleibt viel zu tun! Vieles war in der vergangenen Legislatur wegen des Widerstands von CDU und CSU nicht möglich. Wir Sozialdemokrat*innen kämpfen deshalb für andere, progressive Mehrheiten, die die Umsetzung unserer Vorhaben im Bund möglich machen."

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