Esken: „Es wäre fatal, wenn die Kommunen sich zurückziehen!“

Die SPD-Bundesabgeordnete sprach mit Vertreter*innen Sozialer Dienste über die Belastungen von Menschen mit geringem Einkommen während der Corona-Pandemie; große Sorge bereiten den Teilnehmenden die derzeit in einigen Kommunen diskutierten Sparhaushalte.

(Bildnachweis: Anne Hufnagl)

CALW/FREUDENSTADT. Die Corona-Pandemie bringt Belastungen für alle Menschen mit sich. Besonders hart trifft sie Menschen, die auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind: Nicht nur weil Hilfsangebote in sozialen Einrichtungen wegfallen oder nur eingeschränkt erreichbar sind, sondern auch weil private Ausgaben, beispielsweise für Hygieneartikel, steigen. Wie Menschen mit geringem Einkommen diese Krise meistern, das schilderten über 15 Sozialarbeiter*innen der Erlacher Höhe in Calw-Nagold und Freudenstadt, der Diakonie Freudenstadt, der Caritas Calw sowie des Frauenhauses Calw der SPD-Bundestagsabgeordneten Saskia Esken bei einer Videokonferenz.

Ulrike Sommer, Leiterin der Caritas Schwarzwald-Gäu, berichtete, dass sich die Situation im zweiten Lockdown noch verschärft habe: „Wir erleben, dass der Unterstützungsbedarf noch weiter ansteigt, denn jetzt kommt – bei uns allen, aber insbesondere auch bei den weniger Privilegierten – noch eine gewisse Perspektivlosigkeit hinzu.“ Alle Arten von Unterstützungsangeboten, von der Schulsozialarbeit, über die Tafelläden, bis hin zu Hilfsangeboten für das Ausfüllen von Formularen, seien weiterhin stark nachgefragt. Die Einrichtungen seien mehr als bemüht, möglichst viele Angebote trotz der Kontaktbeschränkungen aufrechtzuerhalten. Inzwischen seien dafür auch gute Konzepte vorhanden.

„Und obwohl die Not von Erwachsenen und Kindern in der Grundsicherung mehr als offenkundig ist, haben wir um diese Kompromisse zäh ringen müssen“, berichtete Esken aus dem Koalitionsausschuss, der Ende Januar getagt hatte. „Nun sind wir froh darüber, was wir erreichen konnten: Geringverdiener*innen und Familien werden weiter entlastet.“ Konkret war in der Sitzung der Regierungsparteien auf Initiative der SPD eine einmalige Corona-Sonderzahlung für erwachsene Grundsicherungsempfänger*innen in Höhe von 150 Euro beschlossen worden. Dieselbe Summe erhalten Eltern einmalig pro Kind als Kinderbonus, der nicht auf die Grundsicherung angerechnet wird. Auch die Teilnehmenden reagierten überwiegend positiv auf die Verhandlungsergebnisse. Weiter berichtete Esken, die als SPD-Parteivorsitzende an den Verhandlungen mit CDU/CSU teilnimmt: „Außerdem bin ich froh, dass wir den erleichterten Zugang zur Grundsicherung nochmals verlängern konnten. Wir hätten diese Vorgehensweise, die sich in der Corona-Krise bewährt, gerne entfristet und damit eine grundsätzliche Reform des SGB2 angestoßen. Aber das ist mit diesem Koalitionspartner nicht zu machen, dafür brauchen wir andere Mehrheiten“.

Ein weiterer Fokus in dem Gespräch lag auf den Belastungen durch die Schul- und Kita-Schließungen. Die bereits vorhandenen sozialen Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem würden durch das Home-Schooling noch verschärft: Nicht nur die Bewältigung des Unterrichtsstoffs sei eine Herausforderung, häufig fehle schlicht die Ausstattung – ein eigener Arbeitsplatz und Computer, oder auch ein Drucker. „Aber auch die Internetverbindung bzw. WLAN-Anbindung ist nicht in allen Familien gegeben“, konstatierte Tobias Ditlevsen, Geschäftsführer der Diakonischen Bezirksstelle Freudenstadt. Esken wies in diesem Zusammenhang auf die in der Koalition erwirkte Aufstockung des Digitalpakts Bildung hin, der nun auch Mittel zum Erwerb von Endgeräten für Lehrkräfte und für bedürftige Schüler*Innen enthalte. Ganz aktuell sei zudem eine Weisung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, nach der Jobcenter die Kosten für digitale Endgeräte übernehmen müssten, wenn diese für den Distanzunterricht benötigt würden.

Eine Mitarbeiterin vom Frauenhaus Calw berichtete ferner, wie unterschiedlich die Schulen und die Lehrkräfte arbeiten: „Im einen Extrem wird mehrere Stunden am Tag digital unterrichtet, was die Schüler*innen komplett überfordert. Andere stellen nur ein paar Aufgabenblätter zum Download bereit. Es ist schon sehr schwierig für Eltern, sich darauf einzustellen. Wenn es dann auch noch mehrere Kinder und vielleicht auch noch an unterschiedlichen Schulen sind, ist das kaum zu leisten.“ Sorge bereitete der Runde darüber hinaus, dass einige Kinder und Jugendliche für Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter*innen nicht mehr erreichbar seien: es sei schwierig, über die Distanz hinweg alle bei der Stange zu halten.

Als weitere Problemfelder nannten die Sozialarbeiter*innen die Schließung bzw. den eingeschränkten Zugang zu verschiedensten Angeboten, etwa zu kurzfristigen Kriseninterventionen für Suchtkranke. Manuel Trick, Teamleiter der Wohnungslosenhilfe der Erlacher Höhe Freudenstadt, berichtete: „Gerade Wohnungslose standen in den ersten Monaten häufig vor verschlossenen Türen. Da sind viele Hilfsangebote einfach ersatzlos weggefallen oder waren nicht mehr zugänglich.“ Die SPD-Kreisvorsitzende und Landtagskandidatin für Freudenstadt, Viviana Weschenmoser, griff dieses Beispiel auf: „Die Obdachlosigkeit ist auch im ländlichen Raum ein großes Problem – ich würde mir in diesem Bereich noch deutlich mehr Unterstützungs- und Beratungsangebote wünschen. Dafür braucht es – wie in eigentlich allen sozialen Bereichen – mehr öffentliche Mittel. Dafür setze ich mich als Landtagskandidatin ein.“

Weiter wurden die Sparhaushalte in den beiden Landkreisen thematisiert. „Natürlich hatten auch die Kommunen durch Corona finanzielle Einbußen. Die Gewerbesteuerausfälle wurden aber durch den Bund und die Länder ausgeglichen, und bei den Kosten der Unterkunft hat der Bund sogar dauerhaft entlastet. Wenn jetzt der Rotstift angesetzt wird, dann ist das gerade im sozialen Bereich ein völlig falsches Signal“, erklärte Esken. „Auch bei den Investitionen kann ich nur an die Kommunen appellieren, sich in der jetzigen Situation nicht zurückzuziehen! Es ist zwar ein verständlicher Impuls, in unsicheren Zeiten geplante Investitionen erstmal aufzuschieben. Es wäre aber grundfalsch. Unsere Konjunktur braucht doch gerade jetzt einen Nachfrageimpuls, und dass nicht nur von den privaten Haushalten, sondern vor allem auch von der öffentlichen Hand. Genau deshalb haben wir im Bund doch diese umfangreichen Förderprogramme für kommunale Investitionen aufgelegt! Und was die Sozialhaushalte angeht: Die Corona-Krise darf die soziale Spaltung nicht noch weiter vertiefen – da sind wir alle in der Pflicht.“

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